Fotoausstellung mit sieben Bildserien von acht Fotograf:innen im Kulturhaus Mestlin

Achtung – Begegnungen mit herausragender Fotografie. Unter dem Titel „achtung“ sind ab Ende Juli interessante Fotothemen zu sehen, bei denen es um das Aufpassen geht, um aufmerksames Beobachten. Gemeint sind aber auch Fotos die die Achtung vor anderen Kulturen und der Natur zum Thema haben.

JÖRG GLÄSCHER <EID>

Achtung, sie werden attackiert und beschimpft. Spätesten nach den Angriffen auf Retter, Feuerwehrleute und Polizisten zu Silvester, musste man sich hierzulande fragen, wie das Verhältnis der Bürger zu „Ihrem“ Staat ist? Offensichtlich Ambivalent. Der Fotograf Jörg Gläscher hat sich diesen Fragen aber bereits Jahre zuvor gestellt hat, hat versucht diese mit einer beeindruckenden Fotoserie zu ergründen. Sauber komponierte Bilder von der Verwaltung wechseln mit aktionsreichen Szenen bei staatlichen Einsätzen ab.

Selbstverteidigungstraining in Akureyri, Island.© Jörg Gläscher

Diese Blicke hinter die Kulissen sind im Kulturhaus Mestlin zu sehen. Die in Deutschland, Ungarn, Georgien, Indonesien, Sambia und den USA aufgenommenen Fotos sind in dem Buch „Eid / The Oath“ bei Hartmann erschienen. Der internationale Blick weist auf die Unterschiede zwischen autoritären Regimen und demokratischen Strukturen hin, zwischen gläsernen Verwaltungspalästen und chaotischen Papierbergen. Man spürt eine Distanz zwischen Jenen, die einen Eid auf den Staat geschworen haben und den Anderen.

Eine Verhaftung in Flagstaff, Arizona, USA. © Jörg Gläscher

Gläschers Fotos zeigen Polizeikräfte, die das Gewaltmonopol des Staates mit jeder Pore ausstrahlen. Zeigen den Arbeitsalltag von Amtsträgern und Verwaltungsbeamten. Aber auch Menschen die sich dem Staat ergeben oder sich wehren. Jörg Gläscher gibt den Institutionen ein Gesicht. In intensiven, spannenden Bildern, die mit ihrer Ästhetik überzeugen. Hinter allem steht die Frage: Wer ist das eigentlich, der Staat?

HEIDI & HANS-JÜRGEN KOCH <FIESE GEWÄCHSE>

Achtung, das Böse lauert überall. Am Straßenrand, beim Waldspaziergang, im Park, Garten und Wohnzimmer, in der Gemüsesuppe. Das Leben ist brutal. Besonders für Pflanzen. Sie können nicht davonlaufen, müssen sich an Ort und Stelle verteidigen. Ihr Modus Operandi ist Gift. Die Opfer leiden. Von Schweißausbrüchen und Pulsrasen bis Lähmungen und Koma. Pflanzen können sogar töten. Atemstillstand, Herzversagen, erlösender Exitus. Aber sie können nichts dafür, es liegt in ihren Genen.

Alpenveilchen. © Heidi & Hans-Jürgen Koch

Es sind „Fiese Gewächse und solche mit krimineller Vergangenheit“ – so nennen Heidi und Hans-Jürgen Koch ihre Fotoserie. Damit haben solche giftigen Pflanzen elegant in Szene gesetzt und ausgeleuchtet. Erstaunlich viele dieser Gewächse kommen ganz unschuldig und hübsch daher. Andere sind abweisend und widerborstig. Die bezaubernde oder bedrohliche Ästhetik der Gewächse hat das Fotografenpaar in eindrücklichen Bildern eingefangen. Heidi und Hans-Jürgen Koch publizieren international in renommierten Magazinen und haben etliche Auszeichnungen erhalten. Die in Deutschland wohl wichtigste Auszeichnung für Fotografie, den Dr.-Erich-Salomon- Preis, erhielt das Paar für „vorbildliche Anwendung der Photographie in der Publizistik“. Ihr Genre bezeichnen sie als Lebensformfotografie.

Gemeiner Stechapfel. © Heidi & Hans-Jürgen Koch

FRAUKE HUBER & UWE H. MARTIN <DRY WEST>

Achtung, historische Dürre. Der Wasserhaushalt gerät im amerikanischen Westen zunehmend aus dem Gleichgewicht. Wo Flüsse in Betonbetten durch Berglandschaften und Wüsten fließen, wird mehr Wasser benötigt, als die Natur zur Verfügung stellt. Mit ihrem Projekt „Dry West“ dokumentieren Frauke Huber und Uwe H. Martin die Auswirkungen der Dürre auf die Landwirtschaft im kalifornischen Central Valley, in dem etwa 25 Prozent aller Lebensmittel der USA produziert werden – in einer Wüste, die durch ein komplexes Kanalsystem aus der Sierra Nevada bewässert wird.

Arbeiter säubern den Boden einer Walnussplantage von Ästen. © Uwe H. Martin & Frauke Huber

Thema ist auch die sogenannte Lebenslinie des trockenen Westens der USA, der Colorado River. Er ist die wichtigste Wasserquelle für fast 40 Millionen Menschen und etwa 15 Prozent der US-weit angebauten Nahrungspflanzen. „Dry West“ ist eine umfangreiche Mehr-Kanal-Videoinstallation aus Fotos und bewegten Filmbildern. Drei wandfüllende Leinwände gruppieren sich um Sitzgruppen mit drei Monitorplätzen, auf denen das Thema als Dokumentarfilm ausführlicher geschildert wird.

Mulitivison von <Dry West> im Centre national de l’audiovisuel (CNA) in Luxemburg. © Uwe H. Martin & Frauke Huber

Eine weitere gezeigte multimediale Bildserie beschäftigt sich mit der Zukunft der Landwirtschaft. Sie stellt zwei Familienbetriebe gegeneinander, einen ökologischen Betrieb aus Mecklenburg-Vorpommern und einen technisierten Großbetrieb in Iowa (USA), der dank Ethanolproduktion floriert.

Das Künstlerpaar sieht sich als Vermittler:innen, die mit ihren Langzeitprojekten zum Dialog anregen möchten. Die gesamte Werkgruppe „LandRush“, an der Frauke Huber und Uwe H. Martin seit 2011 arbeiten, waren jüngst in großen Hallen im Centre national de l’audiovisuel (CNA) in Luxemburg und im MQ Freiraum, des MuseumsQuartiers in Wien zu sehen.  Das Paar arbeitet und publiziert international, lebt in Hamburg und in Bombay Beach (USA) Uwe H. Martin hat einige Lehraufträge in renommierten Hochschulen und veranstaltet eigene Visual-Storytelling-Workshops.

Ökobetrieb der Familie Spies in Mecklenburg-Vorpommern. © Uwe H. Martin & Frauke Huber

FRANK HERFORT <IMPERIAL POMP>

Achtung, diese Gebäude stehen wie Fremdköper in den Städten. ­Post-sowjetische Hochhäuser verbinden mit ihrer Ästhetik die monumentale sowjetische Architektur mit der westlichen Formensprache des zwanzigsten Jahrhunderts. Selbst in entlegenen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion ist dieser seltsam pompöse Baustil zu finden. Der Fotograf Frank Herfort reiste durch Russland, Kasachstan, Aserbaidschan, die Ukraine und Weißrussland um dieses spezielle Phänomen in wunderbaren – und wundersamen – Bildern einzufangen.

Am „City Park“ der Hauptstadt von Kasachstan, Astana, liegen Gebäude von Ministerien. © Frank Herfort

Ihm ist viel mehr als reine Architekturfotografie gelungen. Der Fotograf wählte ein Gebäude Umfeld, das eine gesellschaftliche Widersprüchlichkeit sichtbar macht. Denn die Hochhäuser scheinen von der Hand eines Riesen in verschlafene, surrealistische Kulissen gesetzt worden zu sein. Es sind die Tempel der Macht einer Finanzelite, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion gebildet hat. Die Häuser erinnern an überdimensionale sowjetische Denkmäler. Sie erinnern an die Sehnsucht nach vergangener Größe und an den heutigen Ehrgeiz, diese Größe noch zu übertreffen.

GERHARD STROMBERG <VERSUCH ÜBER INDIEN>

Achtung, Stille und Frieden. „Weite, flache Landschaften sind mir seit langer Zeit die liebsten; Landschaften, die nur durch einen schmalen Streifen Horizont vom Himmel getrennt werden und in denen scheinbar nichts geschieht“, sagt Gerhard Stromberg. Seine Fotos aus Indien transportieren eine ausnehmend friedliche Stimmung. Szenen wie in einem Sikh-Tempel und stille Bilder wie auf dem Land, an Flüssen, in abgelegenen Dörfern sind zu sehen. Sie bilden das ländliche und urbane Leben eines Landes ab, das seinen eigenen Rhythmus lebt. Neben Landschaften stellt Stromberg Menschen dar. Bauern, Händler, Lagerarbeiter.

Lagerarbeiter bei einem Ingwer-Großhandel in Mattancherry, einem Viertel der indischen Stadt Kochi. © Gerhard Stromberg

Indien ist das Sehnsuchtsziel von Gerhard Stromberg. Doch der heute in Goldberg (MV) lebende Fotograf arbeitete mehrere Jahre in England, hatte eine Professur im norwegischen Trondheim und einen kurzzeitigen Wohnsitz in Ungarn. Bis heute prägt seine Arbeit ein berühmter Lehrmeister. Bei Bernd Becher an der Staatlichen Akademie für Bildende Kunst in Düsseldorf lernte er dessen spezielle konzeptionelle Fotografie kennen – Becher-Schule genannt. So haben die Fotos von Gerhard Stromberg eine analytische Sichtweise, klare Formen, und einen weiten Blick. Seine Großformat-Technik ermöglicht es Betrachtern in die Landschaften, in die Szenen tief einzutauchen. Mit seinen Indien-Motiven gewann der Fotograf bereits den Rostocker Kunstpreis.

HARALD BICKEL <KLIMAWANDEL>

Achtung, das Wasser kommt. Gerade die deutsche Insel- und Halligwelt wird der beginnende Klimawandel nachhaltig verändern. Ein steigender Meeresspiegel wird die Landschaft weiter formen, verformen, vielleicht verschwinden lassen. Der Fotograf Harald Bickel wohnt auf der Insel Föhr, was Anlass war sich mit dem Thema Klimawandel zu beschäftigen.

Die Fotomontage kombiniert ein Motiv der St. Nicolai Kirche in Wyk-Boldixum auf der Insel Föhr
mit dem eines Strandes auf der Nordseeinsel Föhr. © Harald Bickel

Seine Fotoserie sucht nicht nach Ursachen oder Schuldfragen. Sie zeigt Visionen, die zur Reflexion mit der Gegenwart einladen und Auswirkungen spürbar machen. In den Visionen werden die drei mittelalterlichen Kirchen der Insel und der Wyker Glockenturm mit der Landschaft am Meer verschmolzen. Als Ruinen am Meer zeigen sie die Vision einer überfluteten Landschaft, einer verlorenen Gegenwart.

ROBIN HINSCH <WAHALA>

Achtung, verbrannte Erde. Die Arbeit von Robin Hinsch entlarvt die Ausbeutungsmechanismen, die hinter der Gewinnung fossiler Brennstoffe stehen. Sie visualisiert, dass mit der Zerstörung der Umwelt in der Regel auch die Gewalt gegen Menschen einhergeht. Der Fotograf hat in geopferten Zonen fotografiert, an Orten in Indien, Nigeria und Europa. Dort wo langfristige Schäden an Umwelt und Menschen in Kauf genommen werden, weil sie an anderer Stelle Profite ermöglichen. Die Apokalypse hat bereits begonnen, auch wenn es den Verbraucher*innen leicht gemacht wird, sie nicht zu sehen. Die Brutalität dieser Orte dringt selten ins Bewusstsein. Für die Menschen in den Bildern sind sie jedoch Alltag. Die Fotografien von Robin Hinsch decken die Widersprüche des Versprechens auf ein immerwährendes Wachstum auf.

Ese Awolowo im Niger Delta bei Ughelli, Nigeria. Dort wird überschüssiges Gas abgefackelt und Sie nutzt die Abwärme für ein eigenes Busineess-Model. © Robin Hinsch