Kulturhaus Mestlin – Unikat der sozialistischen Aufbauzeit

Die Geschichte eines einzigartigen Kulturdenkmals

Eine Ansichtskarte aus Mestlin – die Erinnerung an einen ganz besonderen Ort

Die Mitte des Dorfes Mestlin bestimmt ein Kulturdenkmal von außergewöhnlicher Bedeutung. Es ist das am 19. Oktober 1957 eingeweihte Kulturhaus-Ensemble. Die Schule, das Gemeindezentrum, einige Läden, eine Polyklinik, ein Pflegeheim, drei Wohnblocks und das imposante Kulturhaus gruppieren sich um den Marx-Engels-Platz. Es ist der Kern des einzig realisierten DDR-Musterdorfes. 2011 wurde es von der Bundesrepublik als „Denkmal von nationaler Bedeutung“ anerkannt. Das beispielslose Bauensemble wurde häufig „Stalinallee der Dörfer“ genannt.

Das Kulturhaus Mestlin. © Uwe Nölke

Kulturelle Führungsrolle

Schon von weitem erblickt man es. Das große Kulturhaus Mestlin wird nur noch von der Kirche überragt. Heute wirkt es völlig überdimensioniert für die Gemeinde mit einer Bevölkerung von etwa 790 Einwohnern. Das gesamte Ensemble ist ein zu Stein gewordenes Symbol der sozialistischen Idealordnung. Ursprünglich sollte das Vorzeigeprojekt Vorbild für die Entwicklung des ländlichen Raumes in der gesamten DDR sein. Allerdings folgten keine weiteren Dörfer nach diesem Muster. Doch über Jahrzehnte hinweg strahlte der Kulturbetrieb in Mestlin weit über den Landkreis hinaus. Die namhaftesten Künstler der DDR, wie die Rockgruppe Karat, gaben sich hier die Klinke in die Hand. Das Dorf Mestlin nahm die kulturelle Führungsrolle in der Region ein.  

Rauschende Feste: Tanz zu Silvester im Kulturhaus Mestlin

Deutscher Preis für Denkmalschutz

Inzwischen hat der Verein „Denkmal Kultur Mestlin e. V“, welcher sich der Rettung und der Wiederherstellung der traditionsreichen Gebäude verschrieben hat, das Haus erneut zu einem kulturellen Leuchtturmprojekt entwickelt. Obwohl heute unter eingeschränkten technischen Bedingungen und mit ausschließlich ehrenamtlicher Tätigkeit gearbeitet wird, kann der Verein eine eindrucksvolle Bilanz der kulturellen Belebung des Kulturhauses vorweisen. Am 13. November 2017 wurde „Denkmal Kultur Mestlin e. V“ für sein Engagement mit dem „Deutschen Preis für Denkmalschutz“ ausgezeichnet. Im Laufe der Zeit haben zwei Vereine und eine Bürgerinitiative in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Teile des Gebäudes renoviert. Die Arbeiten wurden aus ganz verschiedenen Geldquellen, u.a. durch Denkmalschutzmittel, finanziert und gefördert. (Hier finden Sie mehr über den Verein)

Mitglieder des Vereins Denkmal Kultur Mestlin renovieren das Foyer in Eigeninitiative

Bau auf, bau auf, für eine bess´re Zukunft

Nach Plänen der Schweriner Architekten Erich Bentrup, Günter Kawan und Heinrich Handorf wurde das Kulturhaus zwischen 1952 und 1957 erbaut. Sich an die Vorgaben der Berliner Bauakademie haltend, verknüpft das Gebäude die progressiven Architekturauffassungen der DDR mit Stilelementen der Vorkriegsbauten. Diese Form des sozialistisch geprägten Neoklassizismus, wird auch sozialistischer Klassizismus oder Stalin-Barock genannt.

1955: das Kulturhaus ist im Bau. © Bundesarchiv

Den 57 Meter langen und über 28 Meter breiten, zweigeschossigen Putzbau krönt ein mächtiges Walmdach. Vier Portici in alle vier Himmelsrichtungen prägen die Gestalt des Kulturhauses. Der größte führt auf den weitläufigen Marx-Engels-Platz. Die auf 1,2 Millionen Mark kalkulierten Baukosten wuchsen mit benötigten 3,5 Millionen Mark auf fast das Dreifache an. Denn es wurde nur das Beste verbaut, was die DDR zu bieten hatte. Vom Spitzenerzeugnis des Boizenburger Kachelwerkes, über edle Travertin-Platten bis hin zur riesigen Notstrombatterie, war ursprünglich alles auf dem neuesten Stand. Schließlich sollte die „Überlegenheit des Sozialismus” demonstriert werden. Eine bautechnische Besonderheit: Das riesige Walmdach wird nicht durch Holzbalken gehalten, sondern von einem leichten, stählernen Dachstuhl gestützt.

Der Dachstuhl des Kulturhauses ist eine ganz spezielle Stahlkonstruktion. © Scharnberg

Technik mit Weltniveau

Als große professionelle Spielstätte gebaut, verfügt das Kulturhaus bis heute über eine der drei größten Bühnen in Mecklenburg-Vorpommern. Von Kassenhalle und Foyer gelangt man in den großen Saal. Der bot zu DDR-Zeiten eine perfekt ausgestattete Bühne mit Orchestergraben, so dass er als Theater- und Veranstaltungssaal und als Kino dienen konnte. Im kleinen Saal fanden ganz unterschiedliche Festivitäten statt. Weil der Boden – von der hölzernen Tanzfläche abgesehen – aus Linoleum bestand, nannte man ihn damals „Gummisaal“. Nebenan lag eine Weinstube, die wie die Klubgaststätte durch die KONSUM-Genossenschaft bewirtschaftet wurden.

Wo sich die Arbeiterklasse traf

Busse fuhren organisierte Gruppen von weit entfernt zu Kulturveranstaltungen heran. Der große Saal fasst mit Konzertbestuhlung 432 Personen. Es war oft festlich, ging aber auch deftig zu. Bier und Schnaps flossen bei den Festen reichlich. Nach Mitternacht war es nicht selten zu sehen, wie Melker und Melkerinnen nach dem Feiern die Tanzschuhe gegen die Arbeitsstiefel tauschten, um sich zum Kuhstall aufzumachen.

Im ersten Stock gab es einen Hörsaal, eine Bibliothek, einen Vorführraum, ein Tonstudio, ein Fotolabor sowie mehrere Räume für Büros und auch für Arbeitsgemeinschaften. In diesen sogenannten Zirkeln, beschäftigten sich Erwachsene, Jugendliche und Kinder mit Foto- und Handarbeiten, mit Schach oder Basteln, mit Tanz und Gymnastik. Umkleide- und Wirtschaftsräume gehörten dazu wie auch eine Hausmeisterwohnung. Noch 1987 waren im Kulturhaus vier Mitarbeiter in Vollzeit und fünf Personen als Teilzeitkräfte beschäftigt.

1963: Erste Jugendweihe im festlich geschmückten Kultursaal von Mestlin. © Bundesarchiv

Wende – auch für die Wände

Nach der politischen Wende suchte man nach einer privatwirtschaftlichen Lösung für das Kulturhaus. Einige Zeit wurde es als Großraumdisko und als Spielhölle genutzt. Mit katastrophalem Ergebnis. Die Wände des seit 1977 unter Denkmalschutz stehenden Hauses wurden schreiend bunt gestrichen, unersetzliche Wandgemälde mit Farbe übertüncht. Der Dielenboden des Saales wurde für Beachpartys mit Sand zugeschüttet, mit entsprechenden Folgeschäden. Viele Einrichtungsgegenstände waren entwendet, vernichtet oder zerstört. Technische Geräte oftmals zu Geld gemacht.

Der Verein Denkmal Kultur Mestlin übernahm das Kulturhaus mit eklatanten Bauschäden. Zustand 2010

Der letzte Betreiber verschwand über Nacht, hinterließ ein völlig verwahrlostes und ausgeräumtes Kulturhaus. Versprechnugen der finanziellen Gewinnbeteiligung hielt er nicht ein. Die einstmals glanzvolle Epoche versank im Müll, in Schrott und Chaos. Auch der Nachwende-Einsatz von ABM-Kräften, die unter anderem viele der Original-Kacheln herausschlugen, beseitigte historische Substanz.

Es war rund um 1996, als die Gemeindevertretung, der Bürgermeister und einige engagierte Mestliner Einwohner intervenierten. Die Gemeinde übernahm wieder die Verantwortung für das Haus, versuchte zu retten was zu retten war. Die Hoffnung auf einen neuen Investor mit sinnvollem Konzept erfüllte sich allerdings nicht.  

Neustart per Eigeninitiative

Eine Bürgerinitiative machte sich auf, das Kulturhaus zu retten. 1997 wurde ein erster Verein gegründet. Er restaurierte den kleinen Saal, nutzte ihn um mit Trödelmärkten und Gemeindefesten das kulturelle Leben wieder aufleben zu lassen. Im Jahr 2000 gelang es ihnen mit Mitteln des Landesdenkmalamtes das große Dach mit seinem Dachstuhl sanieren zu lassen.

2008 übernahm der Nachfolge-Verein „Denkmal Kultur Mestlin e. V.“. Er geht die Erhaltung des Kulturdenkmals grundsätzlicher an und bezieht das gesamte Musterdorf-Ensemble mit ein. Denn nicht nur das Kulturhaus sondern auch die umliegenden Gebäude sind schützens- und erhaltenswert und bieten Entwicklungspotenzial.

Mehrere Einsätze von 30 freiwilligen Helfern renovierte 2009 das weitläufige Foyer. Zudem sind die sechs hohen Fenstertüren im großen Saal instandgesetzt worden, wie auch die Stromversorgung in einigen Räumen. Verbesserungen wie neue Toilettenanlagen, wiederhergestellte Außentreppen und der Zugang für Rollstuhlfahrer machen das Kulturhaus zunehmend bespielbarer. Die Liste der Restaurierungsprojekte ist auch derzeit noch lang, das Geld immer noch knapp. Das großdimensionale Denken der DDR-Zeit ist heute eine Last für den kleinen Ort. Die Situation bietet zugleich aber auch Chancen, was die viel beachteten Kulturprojekte des Kulturhauses beweisen.

Hier gibt es einen interessanten NDR Beitrag über Mestlin zu sehen:

https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Mestlin-Das-sozialistische-Musterdorf-der-DDR,mestlin194.html